Wir spüren es seit Jahren: Das Genre der grossen Multiplayer-Schlachten tritt auf der Stelle. Ein Indie-Entwickler spricht nun aus, was viele denken, und kritisiert den seit 20 Jahren dominanten Conquest-Modus als kreative Sackgasse. Seine Lösung ist ebenso provokant wie faszinierend: Ein Blick auf den Strategie-Giganten StarCraft 2 soll dem Genre wieder auf die Sprünge helfen.
Bellum-Entwickler: Das Ende des Conquest-Modus ist überfällig
Wer seit den Tagen von Battlefield 1942 grossangelegte Online-Gefechte spielt, kennt das zentrale Prinzip: Erobere und halte die Flaggenpunkte. Doch was einst eine Genre-Revolution war, fühlt sich für eine wachsende Zahl von Spielern und Entwicklern wie eine Endlosschleife an. Einer, der nicht nur kritisiert, sondern handelt, ist Ryan 'Karmakut' Yuan. Mit seinem ambitionierten Taktik-Shooter Bellum will sein Studio Astarte Industries beweisen, dass es auch anders geht. In einem vielbeachteten Interview rechnet er mit dem Status quo ab und skizziert eine Vision, die das Genre auf den Kopf stellen könnte.
Kurz & Knapp
- Ryan Yuan, Entwickler von Bellum, bezeichnet den Conquest-Modus als spielmechanisch überholt.
- Das simple "Play the Objective"-Prinzip (PTFO) fördere hirnlose "Meatgrinder" und entwerte taktische Tiefe.
- Schnelle Respawns untergraben laut Yuan die Bedeutung von Logistik, Bewegung und dem Wert des eigenen Lebens.
- Als Alternative propagiert er asymmetrisches Faction-Design, inspiriert von den Fraktionen aus StarCraft 2.
- Sein Shooter Bellum setzt auf drei spielerisch komplett unterschiedliche Fraktionen statt auf rein optische Vielfalt.
- Die oberste Direktive im Gamedesign von Bellum lautet: Das eigene Überleben ist das wichtigste Ziel.
Die Stagnation des Kreises: Eine Kritik am Status Quo
Geht es nach Yuan, steckt die Designphilosophie hinter dem Conquest-Modus seit Jahren in einer Sackgasse. Das sture Anrennen auf markierte Zonen, um einen Balken in der eigenen Teamfarbe zu füllen, sei eine spielmechanische Vereinfachung, die dem Genre schade. Das oft zitierte Mantra "PTFO – Play the Fucking Objective" hält er aus einer Designperspektive sogar für kontraproduktiv, da es stupide Massenangriffe fördert und jede taktische Finesse im Keim erstickt.
"Das ganze 'geh in einen Kreis, warte im Kreis, stirb im Kreis'-Ding [...] verwandelt die ganze Bewegungs- und Manöver-Seite der Dinge in Teleportation."
– Ryan Yuan, Creative Director von Bellum
Mit dieser "Teleportation" meint Yuan das schnelle Respawnen in der Nähe des umkämpften Ziels. Dieses System macht strategische Truppenbewegungen, Flankenmanöver und die Kontrolle über das umliegende Gelände praktisch irrelevant. "Es beseitigt die Relevanz von Bodenkommunikationslinien, Versorgungslinien, Strassen und Annäherungswegen", führt Yuan aus. Ausgerechnet der Taktik-Shooter Squad, der aus der Hardcore-Mod Project Reality für Battlefield 2 hervorging, sei ein Paradebeispiel für dieses Problem. Ein Feuergefecht abseits der Flagge? Sinnlos. Nach dem virtuellen Ableben lautet die Devise: Aufgeben, neu spawnen und direkt wieder ins Getümmel am Hotspot.
Wenn der eigene Herzschlag zählt: Das Leben als höchstes Gut
Bellum will diesen Kreislauf durchbrechen, indem es sich an Hardcore-Events aus der ARMA-Community orientiert, wo das eigene Leben oft alles ist, was man hat. Die Philosophie dahinter ist simpel, aber wirkungsvoll: "'Tu es, ohne zu sterben' ist der Kern so vieler Taktiken und realer Entscheidungsfindung." Das Spiel wird zwar nicht gnadenlos auf ein einziges Leben setzen, doch die Konsequenzen für den eigenen Tod sollen so spürbar sein, dass Spieler ihre Vorgehensweise fundamental überdenken.
Der Sprint über das offene Feld wird zu einer echten Risikoabwägung, wenn die Strafe dafür nicht nur ein paar Sekunden Wartezeit, sondern ein echter Nachteil für das gesamte Team ist.
Asymmetrie als Königsweg? Das StarCraft-Modell
Um die nötige strategische Tiefe zu erreichen, die über das blosse Erobern von Flaggen hinausgeht, schaut Yuan bewusst über den Tellerrand des Genres hinaus – zum Strategie-Klassiker StarCraft 2.
"Es ist nicht 'hier sind 50 verschiedene Fraktionen, die sich alle gleich spielen, und wir werden uns einfach immer und immer wieder um die mittlere Flagge prügeln'."
– Ryan Yuan, Creative Director von Bellum
Er sieht in der radikalen Asymmetrie zwischen Zerg, Terranern und Protoss den Schlüssel zu dauerhafter Faszination und echtem Wiederspielwert. Anstatt unzählige, aber letztlich identische Armeen aufeinanderprallen zu lassen, schafft StarCraft durch drei grundverschiedene Spielweisen eine nahezu unendliche strategische Vielfalt.
Wie Bellum dies umsetzen will
Dieser Gedanke ist die zentrale Säule von Bellum. Statt einer grossen Auswahl an Fraktionen wird es zum Start nur drei geben, die sich aber fundamental voneinander unterscheiden sollen. Die offizielle Webseite bestätigt bereits das 75th Ranger Regiment der US Army, die russische PMC SATYR und die lokalen Guerillakämpfer von al-Zalaam.
Jede Partei wird einzigartige Mechaniken für Nachschub, Verstärkung und Kommunikation besitzen. Dies verspricht eine taktische Tiefe, die weit über die Wahl der richtigen Waffe hinausgeht, stellt das Team aber gleichzeitig vor eine gewaltige Balancing-Herausforderung.
Fazit
Ryan Yuans Analyse trifft einen Nerv. Viele Veteranen des Shooter-Genres sehnen sich nach mehr als nur einer neuen Karte für altbekannte Spielmodi. Sein Ansatz, das Überleben des Spielers in den Mittelpunkt zu rücken und durch echte, tiefgreifende Asymmetrie neue strategische Ebenen zu erschliessen, ist mehr als nur ein ambitioniertes Versprechen - es ist ein notwendiger Impuls für ein Genre, das Gefahr läuft, in seinen eigenen Konventionen zu erstarren.
Ob Bellum bei seinem geplanten Open-Beta-Start vor Ende 2025 die hohen Erwartungen erfüllen kann, steht noch in den Sternen. Doch schon jetzt beweist das Projekt, dass die spannendsten Ideen oft von denen kommen, die es wagen, die ungeschriebenen Gesetze ihres Genres radikal infrage zu stellen.