Ein tiefgehender Bericht von Arstechnica, basierend auf Aussagen aktueller und ehemaliger EA-Mitarbeiter, zeichnet ein düsteres Bild der Entwicklung des nächsten Battlefield-Titels. Interne Konflikte, unrealistische Zielvorgaben und massiver Druck auf die Entwicklerteams werfen einen Schatten auf das Projekt, das als entscheidend für die Zukunft der Marke gilt.
Ein Projekt zu gross zum Scheitern: Der steinige Weg von Battlefield 'Glacier'
Nach dem durchwachsenen Start von Battlefield 2042 will Electronic Arts mit dem nächsten Teil der Serie, intern als "Glacier" bekannt, alles auf eine Karte setzen. Ein investigativer Artikel des Magazins Ars Technica, für den mit zahlreichen anonymen Quellen aus mehreren beteiligten Studios gesprochen wurde, offenbart jedoch tiefgreifende Probleme, die den Erfolg des ambitionierten Vorhabens ernsthaft gefährden könnten. Die Schilderungen aus dem Inneren des Projekts sind eine Fallstudie für die systemischen Schwierigkeiten, mit denen die AAA-Spieleentwicklung heute konfrontiert ist.
Kurz & Knapp
- Unrealistisches Ziel: EA strebt für "Glacier" 100 Millionen Spieler an, eine Zahl, die frühere Serienteile bei weitem nicht erreichten.
- Kostenexplosion: Das Budget wurde bereits Anfang 2023 auf über 400 Millionen US-Dollar angesetzt und ist seitdem weiter gestiegen.
- Singleplayer-Desaster: Nach der Schliessung von Ridgeline Games liegt die Entwicklung der Kampagne laut Quellen zwei Jahre hinter dem Zeitplan.
- Kulturkonflikt: Es herrschen erhebliche Spannungen zwischen der US-amerikanischen Führungsebene und dem schwedischen Traditionsstudio DICE.
- Massiver Burnout: Über alle Studios hinweg mussten zahlreiche Mitarbeiter aufgrund von Überarbeitung und Stress eine Auszeit nehmen.
- Fragwürdige Meilensteine: Wichtige Entwicklungsphasen ("Gates") wurden offenbar ohne die Erfüllung der notwendigen Voraussetzungen für abgeschlossen erklärt.
Der Nährboden des Misstrauens
Die Wurzeln der aktuellen Situation liegen im Debakel von Battlefield 2042. Das Postmortem zu dessen problematischer Veröffentlichung kam zu dem Schluss, dass nicht die Vision, sondern die Ausführung mangelhaft war.
Als Konsequenz installierte EA eine neue, in den USA ansässige Führungsriege, darunter Branchenveteranen wie Byron Beede (ehemals Call of Duty, Destiny) und Vince Zampella (Call of Duty, Apex Legends), um die Franchise neu auszurichten. Gleichzeitig verliessen prägende Figuren von DICE, wie "Mr. Battlefield" Lars Gustavsson, das Unternehmen. Diese Umstrukturierung sollte den Weg für das ambitionierteste Battlefield aller Zeiten ebnen.
Die 100-Millionen-Spieler-Illusion
Die von der EA-Führung ausgerufene Zielmarke von 100 Millionen Spielern stösst intern auf grosse Skepsis. Quellen aus den Entwicklerstudios, insbesondere bei den erfahrenen Teams von DICE in Stockholm, halten diese Zahl für unerreichbar. Zum Vergleich: Battlefield 2042 erreichte etwa 22 Millionen, der bisher erfolgreichste Teil, Battlefield 1, "vielleicht 30 Millionen plus". Die Annahme, man könne mit einem Free-to-Play-Battle-Royale-Modus mühelos in die Sphären von Fortnite oder Call of Duty vorstossen, wird im Bericht als realitätsfern kritisiert.
Ein Entwickler merkte an: “Nichts in der Marktforschung oder unseren Qualitäts-Lieferungen deutet darauf hin, dass wir auch nur annähernd dorthin kommen würden.”
Dieses hochgesteckte Ziel rechtfertigt ein enormes Budget. Bereits Anfang 2023 lag die Planung bei über 400 Millionen US-Dollar. Nach erheblichen Rückschlägen und der Hinzuziehung hunderter zusätzlicher Entwickler zur Schadensbegrenzung liegen die aktuellen Prognosen laut Insidern nun "deutlich" über dieser Summe.
Kollaps an der Singleplayer-Front
Ein zentraler Baustein der "Glacier"-Strategie sollte eine hochwertige Singleplayer-Kampagne sein, um das Gesamtpaket abzurunden. Dafür wurde das neue Studio Ridgeline Games unter der Leitung von Halo-Mitschöpfer Marcus Lehto gegründet. Doch das Vorhaben implodierte. Im Februar 2024 wurde das Studio geschlossen und Lehto verliess EA.
Laut dem Ars Technica-Artikel war die Führungsebene mit dem Fortschritt der Kampagne unzufrieden. Quellen ausserhalb von Ridgeline berichten von unzureichenden Kontrollen, die den wahren Zustand des Projekts verschleierten. Stimmen, die näher an Ridgeline dran waren, beschreiben hingegen eine unmögliche Aufgabe: Das Studio sollte von null auf Hundert skalieren und gleichzeitig dieselben Meilensteine erreichen wie etablierte Studios, während ihm gleichzeitig wiederholt finanzielle Mittel entzogen wurden.
Die Konsequenz ist gravierend: Die verbleibenden Studios Criterion, DICE und Motive mussten die Arbeit an der Kampagne quasi bei null beginnen. Mit Stand Spätfrühling 2025 ist die Kampagne der einzige Spielmodus, der den Alpha-Meilenstein noch nicht erreicht hat – über ein Jahr nach dem ursprünglich geplanten Zieltermin für das Gesamtprojekt.
Kulturkampf: US-Pragmatismus gegen schwedische Produktliebe
Der Bericht beleuchtet einen tiefen Graben zwischen der neuen, US-basierten Führung und dem Kernstudio DICE in Schweden. Während DICE traditionell einen "demütigeren" Ansatz verfolge, der auf die bestmögliche Spielerfahrung abzielt, dominiere nun eine von Quartalszahlen und Top-Down-Anweisungen getriebene US-amerikanische Unternehmenskultur. Diese Fokussierung auf Zahlen, an die intern kaum jemand glaubt, führt zu "viel Misstrauen und Unglauben".
Die Umstellung von einem führenden Studio zu einem Multi-Studio-Konstrukt, das zentral aus Los Angeles gesteuert wird, hat zudem massive Reibungsverluste und Kommunikationsprobleme zur Folge. Ein Mitarbeiter beschreibt Arbeitstage, die um 5 Uhr morgens beginnen, um Meetings mit europäischen Studios abzudecken, und bis in den späten Abend andauern, um die US-Zeitzonen zu bedienen, während die eigentliche Arbeit dazwischen liegen bleibt.
Laut dem Bericht wurden entscheidende Entwicklungsmeilensteine, sogenannte "Gates", passiert, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht erfüllt waren. Prototypen wichtiger Features waren nicht fertig, doch anstatt die Zeit für die Ausarbeitung zu gewähren, wurde der Übergang in die volle Produktionsphase angeordnet – ein Vorgehen, das zwangsläufig zu einem permanenten Aufholjagd-Modus führt und die Grundlage für massive Day-One-Patches und gestrichene Inhalte legt.
Der Preis des Ehrgeizes: Burnout als Systemzustand
Die Folgen dieser Entwicklungsprozesse tragen die Mitarbeiter. Der Artikel zitiert zahlreiche Quellen, die von einer Welle an Burnout-Fällen und mentalen Erschöpfungszuständen berichten. Mitarbeiter mussten Auszeiten von wenigen Wochen bis zu mehreren Monaten nehmen. Zwei Veteranen aus der AAA-Entwicklung gaben an, noch nie bei einem Projekt so viele ausgebrannte Kollegen erlebt zu haben.
Der Druck, die starren Zeitpläne und unrealistischen Ziele einzuhalten, führt unweigerlich zu einer Belastung, die über normale Crunch-Phasen hinausgeht. Versuche, über interne Kanäle wie die Personalabteilung auf die Missstände aufmerksam zu machen, seien laut einem Mitarbeiter ins Leere gelaufen: “Sie tun so, als würden sie zuhören, aber letztendlich hört niemand zu.”
Fazit
Der von Ars Technica gezeichnete Einblick in die Entwicklung von "Glacier" wirft eine fundamentale Frage auf: Ist die Strategie von EA, mit immer grösseren Teams, gigantischen Budgets und einer zentralisierten Top-Down-Führung etablierten Giganten wie Call of Duty nachzueifern, für eine Marke wie Battlefield noch zielführend oder nachhaltig?
Die internen Berichte deuten auf ein System hin, das nicht nur die kreative Vision und die Qualität des Endprodukts gefährdet, sondern auch die Gesundheit der Entwickler aufs Spiel setzt. Die Probleme rund um die Singleplayer-Kampagne, die internen Querelen und die fragwürdigen Entwicklungsprozesse stellen die Weichen für potenzielle Enttäuschungen zum Launch.
Ob das immense finanzielle und menschliche Investment am Ende ein Produkt hervorbringen kann, das die hochfliegenden Erwartungen von 100 Millionen Spielern erfüllt, erscheint aus heutiger Sicht mehr als fraglich. Für die Zukunft von Battlefield steht viel auf dem Spiel.