Mo Gawdat, ehemals in der Geschäftsführung von Googles Innovationslabor, zeichnet in einem Interview ein düsteres Bild der Zukunft des Arbeitsmarktes. Seiner Meinung nach ist die Vorstellung, künstliche Intelligenz würde neue Arbeitsplätze schaffen, eine Illusion, von der selbst die Führungsetagen nicht ausgenommen sind.
KI und die Zukunft der Arbeit: Warum ein Ex-Google-Manager schwarzsieht
Die Debatte um künstliche Intelligenz und ihre Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt wird oft von der beruhigenden Annahme begleitet, dass für jeden durch Automatisierung verlorenen Job ein neuer, höher qualifizierter entstehen wird. Doch was, wenn diese Annahme grundlegend falsch ist? Mo Gawdat, ehemaliger Chief Business Officer bei Google X, positioniert sich als eine der prominentesten dissidenten Stimmen in diesem Diskurs. Seine Aussagen sind nicht nur eine Warnung, sondern eine fundamentale Infragestellung unserer kapitalistischen Arbeitsdefinition.
Eine unbequeme Wahrheit: “100 % Mist”
In einem vielbeachteten Gespräch nahm Gawdat kein Blatt vor den Mund. Die Vorstellung, KI werde unterm Strich Arbeitsplätze schaffen, bezeichnete er als "100 % Mist". Um seine These zu untermauern, führte er ein Beispiel aus eigener Erfahrung an: seine KI-Startup-App Emma.love
.
"Er und zwei weitere Software-Experten bauten die App mit Hilfe von KI, ein Projekt, das 'in der Vergangenheit 350 Entwickler erfordert hätte'", so Gawdat.
Diese drastische Reduktion des Personalbedarfs ist für ihn kein Einzelfall, sondern ein Vorbote für einen umfassenden Wandel. Gawdat, der über 30 Jahre Erfahrung in der Technologiebranche vorweisen kann und bei Google X an der Lösung einiger der drängendsten Probleme der Menschheit arbeitete, spricht aus einer Position tiefgreifender Einsicht in die technologischen Entwicklungen.
Niemand ist sicher: Von Kreativen bis zum C-Level
Die Bedrohung beschränkt sich laut Gawdat keineswegs auf repetitive oder manuelle Tätigkeiten. Auch Berufe, die ein hohes Maß an Kreativität oder strategischem Denken erfordern, stünden zur Disposition. Er nennt explizit Video-Editoren, Podcaster und sogar Führungskräfte.
Die einzige vorübergehende Sicherheit bestehe für die absolute Spitze in jedem Berufsfeld. Doch auch das sei nur ein Aufschub. "Eine allgemeine künstliche Intelligenz wird besser als Menschen in allem sein, einschließlich der Tätigkeit als CEO", erklärte Gawdat. Er geht davon aus, dass inkompetente CEOs zu den ersten gehören werden, die durch eine überlegene KI ersetzt werden. Stellt sich die Frage, wie lange menschliche Kompetenz überhaupt noch einen entscheidenden Vorteil darstellt.
Gegenstimmen und die Hoffnung auf Upskilling
Gawdats pessimistische Einschätzung steht nicht unwidersprochen im Raum. Andere Führungspersönlichkeiten aus der Tech-Welt, wie der Milliardär Mark Cuban und Nvidia-CEO Jensen Huang, vertreten eine optimistischere Sichtweise. Ihr Argument: Die Aneignung von KI-Kompetenzen, gepaart mit ausgeprägten Soft Skills, schaffe einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil auf dem Arbeitsmarkt. Schließlich müsse jemand die Systeme programmieren, trainieren und andere in ihrer Nutzung unterweisen.
Tatsächlich planen viele Unternehmen zweigleisig. Während ein signifikanter Teil der Arbeitgeber einen Personalabbau durch KI in Erwägung zieht, beabsichtigt eine noch größere Mehrheit, ihre bestehende Belegschaft weiterzubilden, um die Zusammenarbeit mit KI zu ermöglichen. Ein sofortiger, massiver Austausch von Menschen durch Maschinen scheint also nicht unmittelbar bevorzustehen. Vielmehr deutet sich eine Phase der Transformation und Neuausrichtung an.
Utopie oder Dystopie? Arbeit neu denken
Interessanterweise sieht Gawdat in dem von ihm prognostizierten massiven Jobverlust nicht nur eine Katastrophe, sondern auch eine Chance. Der ökonomische Wandel könnte eine notwendige Neubewertung unserer Einstellung zur Arbeit erzwingen. In einer solchen Zukunft hätten Menschen mehr Zeit für Familie, Hobbys oder philanthropische Tätigkeiten und könnten ihre Identität jenseits eines Jobtitels finden.
"Wir wurden nie dafür gemacht, jeden Morgen aufzuwachen und einfach 20 Stunden unseres Tages mit Arbeit zu verbringen. Dafür sind wir nicht gemacht", so Gawdat. "Wir haben unseren Lebenszweck als Arbeit definiert. Das ist eine kapitalistische Lüge."
Eine solche Gesellschaft würde jedoch unweigerlich ein universelles Grundeinkommen (UBI) erfordern, um die Existenz der Menschen zu sichern. Die größte Gefahr auf dem Weg in diese potenzielle "Utopie" sieht Gawdat jedoch in der menschlichen Natur: Machtgier, Gier und Ego, insbesondere wenn KI-Systeme "dummen Führungskräften" unterstellt sind. Er fordert daher eindringlich eine ethische Nutzung und strenge Regulierungen für künstliche Intelligenz. Denn eines ist unbestreitbar: Dies ist keine Science-Fiction mehr.