Die Zahl der Einstiegsjobs sinkt rapide, und KI wird als Hauptursache genannt. Dies wirft eine fundamentale Frage auf: Was geschieht mit der klassischen Karriereleiter, die über Generationen den Aufstieg vom einfachen Angestellten zur Führungskraft ermöglichte?

 

Die unsichtbare Stufe: Wie KI die Karriereleiter für Berufsanfänger demontiert

Die aktuellen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt zeichnen ein deutliches Bild: Insbesondere junge Menschen zwischen 16 und 24 Jahren sehen sich mit schwindenden Möglichkeiten konfrontiert. Daten des Arbeitsmarktforschungsunternehmens Revelio Labs zeigen einen Rückgang von etwa 35 % bei den Ausschreibungen für Einstiegspositionen in den USA seit Januar 2023. Künstliche Intelligenz spielt in dieser Verschiebung eine zentrale Rolle und stellt etablierte Aufstiegsmodelle infrage.

Vom Tellerwäscher zum Millionär – ein Auslaufmodell?

Die Erzählungen von Führungskräften, die sich aus den untersten Ebenen eines Unternehmens an die Spitze gearbeitet haben, sind fester Bestandteil der Unternehmenskultur. Antonio Neri, CEO von Hewlett Packard Enterprise, begann als Mitarbeiter im Callcenter. Doug McMillon, CEO von Walmart, lud in seinen Anfängen im Sommerjob Lkw aus. Diese Karrieren, die einst als Inspiration dienten, könnten bald der Vergangenheit angehören, da KI viele der grundlegenden Aufgaben übernimmt, die traditionell den Einstiegspunkt bildeten.

 

Der Aufstieg der KI fällt zeitlich zusammen mit einer deutlichen Verflachung von Unternehmenshierarchien, insbesondere im mittleren Management. Gleichzeitig prognostizieren Experten wie Dario Amodei, CEO von Anthropic, dass bis zu 50 % der Einstiegsjobs durch fortschreitende KI-Systeme wegfallen könnten – Systeme, die in der Lage sind, Acht-Stunden-Schichten ohne Pause zu bewältigen. Diese Unsicherheit trifft auf eine Generation von Hochschulabsolventen, die bereits Schwierigkeiten hat, eine passende Anstellung zu finden. Die Frage drängt sich auf, ob die erste Sprosse der Karriereleiter endgültig entfernt wird und damit auch der Transfer von institutionellem Wissen und die interne Talentförderung gefährdet sind.

 

Daten der Risikokapitalfirma SignalFire untermauern diese Entwicklung. Eine Studie, die Daten der größten börsennotierten Tech-Unternehmen und reifer Start-ups zwischen 2019 und 2024 analysierte, fand einen Rückgang von 50 % bei Neueinstellungen von Personen mit weniger als einem Jahr Berufserfahrung nach dem Studium. Dieser Rückgang zog sich konsistent durch alle Kernbereiche wie Vertrieb, Marketing, Engineering und Personalwesen.

Heather Doshay, Partnerin bei SignalFire, merkt jedoch an, dass dies nicht zur Resignation führen sollte. „Der Verlust klarer Einstiegspunkte verringert nicht nur die Chancen für Absolventen – er formt auch neu, wie Organisationen Talente intern entwickeln“, erklärt sie.

Flachere Hierarchien statt steiler Aufstieg: Eine neue Realität?

Die These lautet also nicht zwingend, dass die Leiter zerbrochen ist, sondern dass sie durch eine flachere Struktur ersetzt wird. „Der klassische Aufstieg vom Poststellenmitarbeiter zum CEO ist ein perfektes Beispiel, da es in vielen Unternehmen schon lange keine physische Poststelle mehr gibt“, so Doshay. Das Verschwinden der untersten Sprosse hat das Potenzial, das Niveau für alle anzuheben.

 

Der neue „Einstiegsjob“ könnte eine fortgeschrittenere, qualifiziertere Rolle sein. Dieser Wandel erzeugt jedoch Druck auf Absolventen, sich diese Fähigkeiten eigenständig anzueignen, anstatt sie im Job zu erlernen. Dies muss jedoch kein Karrierehindernis sein. „Als das Internet und E-Mails zu alltäglichen Unternehmensanforderungen wurden, waren Absolventen gut positioniert, um durch ihre Nutzung an der Universität zu Experten zu werden. Dasselbe gilt hier absolut, wenn man bedenkt, wie zugänglich KI ist“, argumentiert Doshay. Die entscheidende Fähigkeit für Berufseinsteiger liegt darin, KI-Werkzeuge so zu beherrschen, dass sie als technikaffine Fachkräfte wahrgenommen werden, die an der Spitze der technologischen Entwicklung stehen.

Ein Sturm im Wasserglas? Historische Parallelen und langfristige Prognosen

Anders Humlum, Wirtschaftsprofessor an der Universität von Chicago, mahnt zur Vorsicht bei langfristigen Prognosen. Firmen beginnen gerade erst, sich an die neue Landschaft der generativen KI anzupassen. „Wir haben jetzt zweieinhalb Jahre Erfahrung mit der weiten Verbreitung von generativen KI-Chatbots in der Wirtschaft“, sagt Humlum. „Diese Werkzeuge haben bisher in keinem Beruf einen signifikanten Unterschied bei Beschäftigung oder Einkommen gemacht.“

 

Ein Blick auf die Geschichte von Arbeit und Technologie zeigt, dass selbst transformative Erfindungen wie die Dampfkraft, Elektrizität oder der Computer Jahrzehnte brauchten, um weitreichende wirtschaftliche Effekte zu erzielen. „Selbst wenn Amodei recht hat, dass KI-Tools irgendwann die technischen Fähigkeiten vieler Angestellter auf Einstiegsniveau erreichen werden, unterschätzt seine Prognose sowohl die Zeit, die für die Anpassung von Arbeitsabläufen erforderlich ist, als auch die menschliche Fähigkeit, sich an die neuen Möglichkeiten anzupassen“, meint Humlum.

Die letzte Stufe: Wenn Superintelligenz alle Leitern überflüssig macht

Andere Forscher blicken weiter in die Zukunft und sehen nicht nur die unterste Sprosse in Gefahr, sondern die Stabilität jeder einzelnen Position – bis ganz nach oben. Sollten sich Vorhersagen über die Entwicklung einer Superintelligenz bewahrheiten, stellt sich laut Max Tegmark, Präsident des Future of Life Institute, nicht mehr die Frage, ob 50 % der Einstiegsjobs wegfallen, sondern wann dieser Anteil auf 100 % für alle Berufe anwächst. „Superintelligenz kann per Definition alle Jobs besser erledigen als wir“, so Tegmark.

 

In einem solchen Szenario wären die Erfolgstage selbst für den letzten CEO, der es aus dem Callcenter an die Spitze geschafft hat, gezählt. „Wenn wir den Wettlauf mit völlig unregulierter KI fortsetzen, werden wir zunächst eine massive Konzentration von Wohlstand und Macht von den Arbeitnehmern zu denen sehen, die die KI kontrollieren, und dann zu den Maschinen selbst, wenn ihre Besitzer die Kontrolle über sie verlieren“, prognostiziert Tegmark.

 

Quellen: