Stell dir vor, du editierst eine .ini-Datei, um das nervige Motion Blur in einem Spiel zu killen, und der Publisher verklagt dich plötzlich wegen einer unerlaubten Umarbeitung seines Computerprogramms. Klingt verrückt? Genau so ein Szenario könnte in Deutschland bald für die Nutzung deines Adblockers Realität werden. Ein frisches Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) hat den alten Streit zwischen dem Verlagshaus Axel Springer und den Adblock-Plus-Entwicklern von Eyeo neu entfacht. Und diesmal geht es an die Substanz: Es geht um deine Kontrolle über deinen eigenen Browser.
Der Kern des Problems: Wem gehört, was du siehst?
Der juristische Kniff, den Axel Springer hier versucht, musst du dir auf der Zunge zergehen lassen. Nachdem sie auf der Wettbewerbsschiene nicht weiterkamen, versuchen sie es jetzt über das Urheberrecht. Die Behauptung lautet: Eine Webseite mit all ihrem Code-Salat ist ein geschütztes Computerprogramm. Wenn dein Adblocker also eingreift, um Werbung auszublenden, ist das keine simple Filterung, sondern eine illegale "Umarbeitung" dieses Programms.
Bisher hatten die Gerichte dafür nur ein müdes Lächeln übrig. Die Logik war klar: Dein Browser ist dein Werkzeug, mit dem du Inhalte ansiehst – und am Ende entscheidest du, wie du sie siehst. Doch der BGH hat diese sichere Bank nun vom Tisch gefegt. In seiner Entscheidung vom 31. Juli (Az.: I ZR 131/23) meinte das höchste deutsche Gericht, man könne nicht einfach so ausschließen, dass der Code einer Webseite urheberrechtlich geschützt ist. Der Fall liegt jetzt wieder beim Oberlandesgericht Hamburg und muss komplett neu aufgerollt werden.
Das ist eine ziemliche Eskalation. Plötzlich geht es nicht mehr um fairen Wettbewerb, sondern um die Frage, ob das Blockieren eines Pop-ups dasselbe sein soll wie das Verändern einer .exe-Datei.
Warum das auch dich und nicht nur deinen Adblocker betrifft
Kein Wunder, dass Organisationen wie Mozilla sofort auf den Plan gerufen sind. Was deren Rechtsberater Daniel Nazer sagt, sollte dich aufhorchen lassen. Wenn Axel Springer mit dieser Nummer durchkommt, wäre das nicht nur das Ende vieler Adblocker in Deutschland. Es würde einen Präzedenzfall schaffen, der weit über das Blockieren von Werbung hinausgeht.
Denk mal drüber nach: Unzählige Browser-Erweiterungen, die du vielleicht nutzt, funktionieren nach demselben Prinzip. Tools, die für deine Privatsphäre Tracker blockieren, Skripte, die Webseiten für Menschen mit Sehschwächen lesbarer machen, oder Add-ons, die einfach nur schlecht programmierte Elemente killen, die deine CPU fressen. Sie alle "umarbeiten" die Darstellung einer Webseite in deinem Browser. Ein Urteil gegen Adblocker stellt die rechtliche Grundlage all dieser nützlichen Helfer infrage.
Die Folge wäre ein "chilling effect": Entwickler trauen sich nicht mehr, nützliche Tools zu bauen, und Browser-Hersteller könnten die Möglichkeiten für Add-ons einschränken, um nicht selbst verklagt zu werden. Das Web, wie du es kennst, würde ein Stück unfreier und geschlossener werden.
Ein Kampf um die Kontrolle über deinen PC
Klar, aus Sicht eines Konzerns, der sein Geld mit Werbung verdient, ist die Klage von Axel Springer logisch. Es ist der Versuch, die Kontrolle über die Inhalte bis auf deinen Bildschirm zu behalten.
Die Gegenposition ist aber die, die dich und mich betrifft: Dein Browser ist kein passives Abspielgerät. Er ist ein aktives Werkzeug in deiner Hand. Du entscheidest, welche Inhalte von einer Webseite auf deiner Hardware ausgeführt und angezeigt werden. Schließlich ist es deine CPU, dein Strom und deine Aufmerksamkeit, die hier beansprucht werden.
Das Gericht in Hamburg muss jetzt eine extrem knifflige Frage beantworten, deren Ausgang die Regeln für deine digitale Freiheit in Deutschland neu definieren könnte. Bis dahin bleibt eine massive Rechtsunsicherheit. Und die schadet vor allem denen, die das Web für dich und uns alle einfach nur ein bisschen besser, sicherer und weniger nervig machen wollen.