In einer Welt, in der die Unreal Engine fast alles antreibt, ist es ein seltener und, seien wir ehrlich, leicht irrer Anblick, wenn ein Studio beschließt, sein eigenes Universum von Grund auf zu erschaffen. Bohemia Interactive tut genau das mit seiner Enfusion-Engine. Wir haben uns die Details aus einem Interview mit Chef-Entwickler Filip Doksanský angeschaut und erklären euch, warum dieser teure Egotrip für uns Spieler die beste Nachricht seit langem ist.

Bohemia Interactives Enfusion-Engine: Warum 10 Millionen Euro für die Arma-Zukunft (Arma4) verdammt gut angelegt sind
 

Enfusion-Engine: Warum Bohemia Interactive 250 Mio. Kronen in eigene Technologie investiert

Es gibt einen einfachen Weg, ein Spiel zu bauen, und es gibt den Bohemia-Weg. Der einfache Weg ist, sich eine Lizenz für die Unreal Engine oder Unity zu schnappen. Der Bohemia-Weg? Man versammelt ein Team aus 15 brillanten Köpfen, gibt ihnen zehn Jahre Zeit und ein Budget von rund 10 Millionen Euro und lässt sie einen eigenen Motor für die Zukunft von Arma schmieden. In einem Gespräch hat Filip "Fido" Doksanský, der Mann, der dieses technologische Biest lenkt, verraten, warum das alles andere als Wahnsinn ist. Es ist schlichtweg notwendig.

 

Kurz & Knapp

  • Der Preis der Freiheit: Schlappe 10 Millionen Euro (250 Mio. CZK), um nicht die Regeln anderer befolgen zu müssen.
  • Die Baumeister: Ein verschworenes Team von 15 Spezialisten, das seit einem Jahrzehnt daran schraubt.
  • Das Versprechen: Eine Engine, die fit ist für das 900 km² große Schlachtfeld von Arma 4. Ja, neunhundert.
  • Die DNA: Alles ist auf eine riesige Spielwelt, knallharte Simulation und vor allem auf euch, die Modding-Community, ausgelegt.
  • Die Jagd nach Talent: Engine-Programmierer sind in Tschechien seltener als Einhörner, was die Sache... kompliziert macht.
  • Die goldene Regel: Perfektion bedeutet, nichts mehr weglassen zu können.

Die Notwendigkeit einer maßgeschneiderten Lösung

Warum also der ganze Aufwand? Man könnte doch meinen, dass die Unreal Engine, die selbst die beeindruckendsten Bilder auf den Schirm zaubert, gut genug wäre. Nicht für Bohemia. Das Problem ist, dass Standard-Engines für eine bestimmte Art von Spiel gebaut sind. Doksanský nennt sie treffend einen "designtechnischen Korridor". Sie sind perfekt, um euch durch sorgfältig inszenierte, atemberaubende Level zu führen. Aber Arma? Arma ist das genaue Gegenteil. Es ist ein unberechenbarer, riesiger Sandkasten. Und für den Sandkasten der Zukunft braucht man ein passendes Förmchen.

 

"Arma 4 wird eine Spielkarte von der Größe von 900 Quadratkilometern haben. Das ist etwas, wofür eine normale Spiel-Engine nicht ausreicht."

Diese Zahl sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen. Das ist kein Level mehr, das ist ein kleines Land. Eine Engine muss hier nicht nur hübsche Sonnenuntergänge malen, sondern die Flugbahn einer Kugel über drei Kilometer berechnen, während 30 Spieler und unzählige KI-Soldaten Chaos verursachen. Dafür baut man keine Engine, man züchtet sie.

Das "tschechische Phänomen": Eine Kultur der Eigenentwicklung

Das Verrückte ist: Bohemia ist mit dieser Haltung nicht allein. Doksanský spricht von einem regelrechten "tschechischen Phänomen". Schaut euch um: SCS Software baut für den Euro Truck Simulator eine eigene Technologie, um ganze Kontinente befahrbar zu machen. Keen Software House erschafft mit Space Engineers ein physikbasiertes Universum, das auf keiner Standard-Engine laufen würde. Das ist kein Zufall, das ist eine Mentalität.

 

"Es ist wirklich bemerkenswert, dass dies gerade bei uns in der Tschechischen Republik geschieht, die nicht so groß ist", so Doksanský.

Hier geht es darum, eine Vision zu haben, die so spezifisch und ambitioniert ist, dass man die Werkzeuge dafür einfach selbst erschaffen muss. Das ist PC-Gaming in seiner reinsten Form.

Enfusion im Detail: Modding als DNA

Wenn es eine Sache gibt, die Bohemia Interactive durch den Erfolg von DayZ gelernt hat, dann ist es diese: Die Community ist König. DayZ begann als Mod für Arma 2 und wurde zu einem globalen Phänomen. Diese Lektion ist tief in der Enfusion-Engine verankert. Modding ist hier kein nachträglich angeflanschtes Feature, es ist das Fundament. Die Tools sind zugänglicher, mächtiger und offener als je zuvor. Man kann sogar professionelle Geodaten importieren, um die echte Welt als Vorlage für eine Karte zu nutzen. Das ist nicht nur ein nettes Gimmick, das ist ein Power-Move, der der Community die Schlüssel zum Königreich in die Hand drückt.

Die menschliche Komponente: Ein Team aus Spezialisten

So eine Engine baut sich natürlich nicht von allein. Man braucht dafür eine ganz besondere Art von Entwickler. Leute, die nicht nur Code schreiben, sondern Architekten digitaler Welten sind. Und die sind, wie Doksanský zugibt, verdammt schwer zu finden. "Wer in der Tschechischen Republik in der Lage ist, eine Game-Engine zu entwickeln, der tut es bereits." Das Team ist deshalb eine Mischung aus erfahrenen Veteranen, die schon ewig dabei sind, und jungen Talenten, die unter deren Fittichen zu den nächsten Meistern ihres Fachs ausgebildet werden. Es ist der ewige Kampf zwischen den strukturierten Engine-Architekten und den kreativ-chaotischen Game Designern, die, wie Doksanský liebevoll anmerkt, manchmal wie Kinder sind, die sich ständig in neue, brillante und für den Code katastrophale Ideen verlieben.

Die Last der Verantwortung und die Philosophie der Perfektion

Stellt euch vor, die Zukunft von Arma, einer der legendärsten PC-Marken überhaupt, ruht auf dem Code, den euer Team schreibt. Kein Druck, oder? Doksanský gibt zu, dass die Summe von 10 Millionen Euro "schrecklich" klingt, aber er ist überzeugt, dass es der einzig richtige Weg ist.

 

"Die Verantwortung ist riesig und die Summe ist gewaltig, aber für Bohemia ergibt es einen Sinn – und es ergibt auch für mich einen Sinn."

Es ist die ultimative Kontrolle über das eigene Schicksal. Anstatt sich den Launen eines externen Engine-Entwicklers auszuliefern, hat man alles in der eigenen Hand. Geleitet wird das Ganze von einer simplen, aber genialen Philosophie, die er von Antoine de Saint-Exupéry borgt: "Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn man nichts mehr hinzufügen kann, sondern wenn man nichts mehr wegnehmen kann."

Was wir daraus mitnehmen

Am Ende des Tages geht es bei dieser sündhaft teuren Eigenentwicklung um mehr als nur um technische Spezifikationen oder die Anzahl der gerenderten Grashalme. Die Enfusion-Engine ist ein Statement. Es ist Bohemia Interactives Wette auf die Zukunft des PC-Gamings – eine Zukunft, die nicht in den glattpolierten Korridoren vorgefertigter Engines stattfindet, sondern in riesigen, unvorhersehbaren und von den Spielern selbst gestalteten Welten. 

 

Jeder Euro dieser Investition ist letztlich ein Investment in unsere Freiheit als Spieler: Die Freiheit, auf Karten zu kämpfen, die größer sind als alles, was wir bisher kannten. Die Freiheit, die Spiele durch Mods so zu verändern, dass vielleicht das nächste DayZ daraus entsteht. Und die Freiheit, eine Simulation zu erleben, die so tief und komplex ist, wie es ihre Schöpfer – und nicht die Lizenzbedingungen einer Engine – erlauben. 

 

Bohemia baut nicht nur die Engine für Arma 4, sie bauen eine Plattform für die nächsten zehn Jahre unvergesslicher Kriegsgeschichten. Und das ist verdammt aufregend.